Teenager-Sex – Liebe oder was anderes?

Menschen suchen nach Nähe, Vertrautheit und Wohlgefühl. Zwischen reifen Menschen findet von Natur aus in der Folge Sex statt. Jedoch, auch von Natur aus, nicht zwischen Kindern und denen, die für sie verantwortlich sind.

Kinder suchen emotionale Nähe zuerst bei Erwachsenen. Eine sexuelle Interaktion ist somit sehr unwahrscheinlich. Auch wenn sich andere Tendenzen in den Medien gut verkaufen lassen, sollten wir uns davon nicht täuschen und schon gar nicht leiten lassen.

Was macht Jugendliche reif für sexuelle Kontakte?

Wird den Kindern die emotionale Nähe zu Erwachsenen, über Worte oder Gefühle, nicht ermöglicht oder verwehrt, fangen sie aus Not an, ihr tiefes Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit anderswo zu stillen: Sie orientieren sich vorrangig, weil verfügbar, an Gleichaltrigen.
Nebst der Thematik, dass Gleichaltrige eine Hauptquelle für emotionale Verletzungen sind, muss damit gerechnet werden, dass die Sehnsucht nach Kontakt auch sexualisiert wird. Dies geschieht, weil die Bindungen zu Gleichaltrigen natürlicherweise nicht sättigen und somit mit immer extremeren Forderungen und Handlungen die Herstellung von Nähe versucht wird.

Wenn das Bindungsgefühl nicht mehr über vergleichsweise «harmlose» Methoden wie das zwanghafte Tragen derselben Kleidung oder Gutfinden desselben Musikidols erreicht werden kann, wird Sex zu einem Instrument der Bindung zu Gleichaltrigen. Doch Sex unter Gleichaltrigen ist lediglich die Befriedigung der Bindungsbedürfnisse auf der oberflächlichsten Stufe und nicht, wie zwischen reifen Personen, Ausdruck und Ergebnis von tiefer emotionaler Verbundenheit durch echte Intimität und Gefühle von Wärme und Wohlsein. Bei an Gleichaltrigen orientierten Teenagern ist diese reife sexuelle Erfahrung nur selten der Fall – so sehr sie auch versuchen, sich selbst davon zu überzeugen. Ihnen fehlen die Erfahrungen mit den eigenen Gefühlen, Verletzlichkeit und die Reife, um mit ihrer Sexualität die tiefsten Bindungsformen zu erreichen.

Was haben Trend und Mode mit Sexualisierung zu tun?

Die heutigen Vorgaben für Teenager für Mode von Kleidung, Makeup und Auftreten fördert die Sexualisierung junger Mädchen beträchtlich. Meist sind sie jedoch noch in keiner Weise zu reifer sexueller Aktivität fähig. «Der jeweilige mit sexuellen Komponenten aufgeladene Look ist zu einem vorrangigen Maßstab für das Selbstwertgefühl geworden», schreibt Joan Jacobs Brumberg, Historikerin an der Cornell Universität und Autorin von The Body Project, a History of American Girlhood (Das Körperprojekt, eine Geschichte amerikanischer Mädchenjahre).
Brumberg erklärte gegenüber dem Nachrichtenmagazin Newsweek, dass Mädchen vor fünfzig Jahren, wenn sie davon sprachen, sich zu verbessern, an akademische Leistungen oder einen gesellschaftlichen Beitrag dachten; jetzt steht dagegen das Aussehen an erster Stelle. «In den privaten Tagebüchern junger Mädchen kommen die Sorgen über den eigenen Körper durchgängig gleich an zweiter Stelle nach ihren Beziehungen zu Gleichaltrigen.» Natürlich ist die Formulierung «gleich an zweiter Stelle» verfehlt, da die Besessenheit von der Erscheinung des eigenen Körpers sich direkt aus der Gleichaltrigenorientierung und ihrer Begleiterscheinung, der Sexualisierung der Adoleszenz, ergibt. Auch bei Jungen ist ein Trend festzustellen, dass Aussehen und Akzeptanz von Gleichaltrigen einen Stellenwert einnehmen, der andere, viel wichtigere Komponenten für die Adoleszenz, verdrängt. So sind nicht nur Beautyprodukte für männliche Jugendliche mittlerweile ein Wirtschaftszweig, auch die Entfernung von Körperbehaarung, Körpertrainingsexzesse und zwanghaftes Essverhalten etc. zeugen von dieser Entwicklung.

Was will die Natur mit dem Kontaktkleber erreichen?

Was in der Fachwelt und auch bei Eltern oft nicht bekannt ist: Teenager spielen bei der Sexualisierung ihrer Bindungen unwissentlich mit dem Feuer. Sex ist kein Instrument, das man einfach so für seine eigenen Zwecke einsetzen kann. Sexualität kann für den Menschen, ganz besonders für Jugendliche aufgrund ihrer emotionalen Unreife, keine beiläufige Erfahrung sein, nach der sie ganz unversehrt weiterleben können, ohne dass wesentliche menschliche Gefühle aufgewühlt würden.
Und das ist keine religiöse Masche, sondern eine rein neurologisch biologische Tatsache: Denn die Natur hat, um das Fortbestehen der Menschheit zu sichern, mit dem Sex ein mächtiges Bindemittel zur Verfügung, einen Kontaktkleber der die Menschen bindet, da er ein Gefühl der Einheit und der Verschmelzung hervorruft, die wiederum die Pflege der Frucht von Sex, der Nachkommen, sichert.

Egal wie kurz oder unschuldig die sexuelle Interaktion war – durch Sex wird aus den Beteiligten ein Paar.

Ob sie dazu bereit sind oder nicht, es wollen oder nicht, sich dessen bewusst sind oder nicht, die Beteiligten werden miteinander verbunden. Eine Trennung hinterlässt eine Wunde, deren Vernarbung emotionale Taubheit bedeutet. Zwar hat die Natur hat es so eingerichtet, dass das verkraftbar ist, in einem gewissen Mass und unter der Bedingung, dass der Mensch genügend reif ist. Doch viele Wunden bedeuten bei Unreifen weniger Gefühle, doch Gefühle sind der Motor, die Kraft, die wir für unsere Entwicklung brauchen und die unser friedliches soziales Zusammenleben gewährleistet.

In Studien hat sich bestätigt, was die meisten von uns wahrscheinlich schon selbst festgestellt haben; dass der Liebesakt einen natürlichen verbindenden Effekt hat und im menschlichen Gehirn mächtige Emotionen der Bindung hervorruft.

Wenn bei Kindern mit Gleichaltrigenorientierung zu ihrer sexualisierten tiefen Sehnsucht nach Bindung der ernstlich verbindende Effekt hinzukommt, den selbst «lockerer» Sex hat, so sind die Ergebnisse nur allzu vorhersehbar; unerwünschte Teenagerschwangerschaften nehmen extrem zu, trotz all unserer Bemühungen um Sexualaufklärung und Geburtenkontrolle.
Kinder mit Gleichaltrigenorientierung sind nicht sexuell aktiv, weil sie sich lieben oder ein Baby wünschen, für das sie sorgen und Verantwortung übernehmen können, sondern weil sie in den Armen des Anderen das suchen, was sie eigentlich in der Beziehung zu ihren Eltern finden sollten, nämlich Kontakt und Verbindung, Bestätigung ihrer Persönlichkeit und Angenommensein in ihrem Wesen.
Unerwünschte Schwangerschaften können das Ergebnis dieser Suche sein, und in vielen Fällen sind die Babys die unglücklichen Opfer; sie werden unreifen Eltern geboren, die in keiner Weise darauf vorbereitet sind, emotional oder auch nur körperlich für sie zu sorgen. Selbst wenn Teenagerschwangere behaupten, dass sie ihr Kind deshalb haben wollen, weil sie für das Kind sorgen möchten, haben sie eher die Fantasiewelt vor Augen, in der sie das Kind hübsch anziehen, wickeln und füttern werden und sind sich in keiner Weise bewusst, was tatsächlich die Bedeutung von Verantwortung und Fürsorge ist.

Hinzu kommt, dass bei Abweisung für sexuellen Kontakt oder Verlassenwerden danach, oft keine Möglichkeit mehr gesehen wird, noch auf eine andere Weise zu Geborgenheit zu kommen. War das Selbstwertgefühl vorher schon im Keller, fällt es nun ins Bodenlose mit allen Folgen in den verschiedensten Formen (z.B. Depressionen, Aggression, Sucht u.v.a.)

Was Kinder von uns Erwachsenen brauchen

Wie auch bei vielen anderen Themen, in denen unsere Kinder unsere Unterstützung brauchen würden, erhalten sie sie aufgrund von Fehlwissen und Manipulation unserer Intuition leider oft nicht. Denn Erwachsene versuchen typischerweise mit der Hypersexualität von an Gleichaltrigen orientierten Jugendlichen so umzugehen, wie sie mit tyrannisierendem Verhalten und Aggression umgehen: Sie legen den Schwerpunkt auf die Interaktion zwischen den Jugendlichen und versuchen durch Ermahnungen, Belehrungen, Belohnungen und Strafen Verhaltensänderungen zu bewirken. Solche Bemühungen sind auch in diesem Bereich fehlgerichtet, denn solange die Jugendlichen sich an Gleichaltrigen orientieren, haben wir kaum Möglichkeiten, ihre fehlgeleitete Sexualität in die richtigen Bahnen zu lenken. Wir haben aber, zumindest wenn es sich um unsere eigenen Kinder handelt, viele Möglichkeiten, die fehlgeleitete Orientierung verfrüht sexualisierter Jugendlicher anzugehen. Um ihre Sexualität zu beeinflussen, müssen wir sie zunächst dahin zurückholen, wohin sie wirklich gehören – in eine Umgebung, in der sie sich sicher fühlen können vor Angriffen von aussen, in der sie sich entwickeln können, erforschen können, wer sie sind und was sie wollen – in den meisten Fällen ist das die Familie, die Obhut der Eltern. Die Kinder brauchen Wurzeln und Tiefe um zu wachsen, die Voraussetzung um anschliessen mit den Flügeln der Reife ins (Sexual)Leben zu fliegen.

Alter gleich Reife?

Aus dem Text sollte eigentlich hervorgehen, dass es sich um unreife an Gleichaltrigen orientierte Jugendliche handelt, welche der Problematik von Sexerlebnissen nicht gewachsen sind. Falls nicht, möchte ich das hier noch deutlich machen. Das Alter ist nur bedingt Hinweis für die Reife eines Menschen. Aber genau die Reife ist es, die uns zu etwas fähig macht oder nicht. Es gibt tatsächlich reife Teenager, die sexuelle Erfahrungen machen und damit umgehen können. Diese Jugendlichen haben während ihrer Kindheit und Jugendzeit intakte sichere Bindung erfahren, sich selber kennen und andere achten gelernt und sind nun aus dieser Basis heraus sogar reifer, als wohl mancher, altersmässig, Erwachsener.

Ana Claudia Deuber-Gassner

Mutter von 3 Kinder im Alter von 8-17 Jahren, Stillberaterin, Fachfrau für Entwicklung und Bindung, Absolventin des Advanced Studiums und Mitarbeiterin am Neufeld-Institute für Praktische Entwicklungswissenschaft mit Sitz in Vancouver, Canada.
Infos über Prof. Dr. Gordon Neufeld, die deutschsprachigen Kursleiter und Kurse: https://www.neufeldinstitute.de

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